Gis – In zwölf Halbtonschritten durch das Jahr 2021

Gischt und Schiffssirene

September

Orgelklänge verbindet man klassischerweise mit Kirchen und Konzertsälen. Einst war die Orgel auch fester Bestandteil in Kinohäusern. Nachdem der Stummfilm in den 20er Jahren einen Aufschwung erlebt hatte, schlug die Geburtsstunde der Kinoorgel. Zunächst ermöglichte R. Hope-Jones Erfindung der separaten, elektropneumatischen Ansteuerung jeder einzelnen Pfeife eine kompaktere Herstellung von Orgeln. Der Spieltisch wurde beweglich und gab dem teilweise improvisierenden Organisten den Blick auf die Leinwand frei.

In kurzer Zeit erfreuten sich Kinoorgeln großer Beliebtheit in den USA und Europa. Gegenüber Orgeln für den liturgischen Gebrauch unterschieden sie sich durch hohen Winddruck, starke Tremulanten und eine geringe Anzahl herkömmlicher Register. Anstatt dessen ermöglichten ihre Perkussion- und Effektregister Schlittenglocken, Zug- oder Schiffsgeräusche.

Mitte des 20. Jahrhunderts verschwanden sie aus den Kinohäusern, der Orgelklang blieb. Einzelne Register prägen die Filmmusik nach wie vor: Die Celesta trägt z.B. das Hedwig-Thema in Harry Potter. Wer möchte, kann ihrem Klang ganz in der Nähe lauschen. Denn seit 2020 erklingt die himmlische Stimme im Deutschordensmünster in Heilbronn.

© Ayleen Kern, 01.09.2021